In vielen europäischen Ländern kommt immer wieder die Debatte auf, ob Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches erlaubt sein sollte. In der Hälfte Deutschlands ist es Lehrerinnen verboten, ein Kopftuch zu tragen und auch in vielen Nachbarländern Deutschlands gilt ein entsprechendes Verbot. Ich bin gegen ein solches Kopftuch-Verbot, weil ich denke, dass dadurch die Freiheit des Einzelnen unverhältnismäßig stark eingeschränkt wird, wofür hinreichend starke Gründe fehlen. Zunächst einmal möchte ich wesentliche Argumente skizzieren, die für oder gegen ein Kopftuch-Verbot sprechen und dann systematisch näher auf sie eingehen.
Argumente, die für das Kopftuch-Verbot vorgebracht werden:
Der Staat hat in Weltanschauungsfragen neutral zu bleiben, deshalb ist das Kopftuch zu verbieten.
Die Erziehung hat weltanschaulich neutral zu bleiben, damit wirkliche Religionsfreiheit unter Erwachsenen besteht, deshalb ist das Kopftuch zu verbieten.
Das Kopftuch ist ein Symbol sexistischer Unterdrückung, deshalb ist das Kopftuch zu verbieten.
Das Kopftuch ist Symbol einer intoleranten Religion, die nicht auf dem Boden der Verfassung steht, deshalb ist das Kopftuch zu verbieten.
Argumente, die gegen das Kopftuch-Verbot vorgebracht werden:
Das Kopftuch verweist auf sehr unterschiedliche Bedeutungen. Das Tragen eines Kopftuchs ist nicht hinreichend dafür, das Dritte in relevanter Weise geschädigt werden und berührt so nur die Freiheitssphäre der Trägerin des Kopftuchs, die dieser qua Volljährigkeit gänzlich selbst überlassen ist.
Auch wenn es nach dieser Liste mehr Argumente für ein Kopftuch-Verbot gibt, ist ein Kopftuch-Verbot zu verwerfen, denn die Argumente sind ganz unterschiedlich zu bewerten. Dass der Staat in Weltanschauungsfragen neutral zu bleiben hat, kann zunächst unterschiedlich gedeutet werden. Es ist jedoch nahe liegend, dass Gruppen, die auf dem Boden der Verfassung stehen, nicht an gesellschaftlicher und politischer Partizipation gehindert werden sollten, wozu einige Ausdeutungen des Islams sicher gehören. In einem laizistischen Staat mit einem islamischen Bevölkerungsanteil hat ein Kopftuch-Verbot gerade die Wirkung, dass bestimmte Religionen diskriminiert werden, zum Beispiel, wenn eine Muslima sowohl ein Kopftuch tragen, als auch Lehrerin oder Abgeordnete sein möchte. Das Kopftuch-Verbot führt also gerade dazu, dass der Staat nicht neutral ist.
Dass die Erziehung weltanschaulich neutral bleiben sollte, damit Religionsfreiheit unter Erwachsenen bestehen kann, halte ich für ein relativ gutes Argument, denn Erziehung ist der einzige Bereich, in dem Paternalismus Sinn macht, weil Kinder noch keine gänzlich autonomen und entwickelten Persönlichkeiten sind, dennoch halte ich das Argument in der Kopfttuch-Frage für verfehlt. Über verschiedene Aspekte wie Geschäfte und Religion können Kinder noch nicht entscheiden. Zunächst wäre es jedoch in Deutschland doppelmoralisch, wenn man daraus ein Kopftuch-Verbot ableiten würde, weil es auch religiöse Schulen gibt und Religionsunterricht, der von Religionsgemeinschaften durchgeführt wird. Dann ist das Tragen eines Kopftuchs nicht hinreichend dafür, dass keine ausreichende weltanschauliche Neutralität besteht. Das Tragen eines Kopftuchs allein ist in erster Hinsicht eine private Angelegenheit und bedeutet nicht, dass eine muslimische Lehrerin Kinder manipulativ zu Muslimen erzieht. Jeder Mensch hat irgendwelche metaphysischen Ansichten, mögen sie auch ein atheistischer Materialismus sein. Wenn der Staat hier auf dem Boden der Verfassung neutral sein soll, reicht es aus, wenn Schulen keinen Religionsunterricht anbieten würden. Ein Kopftuch-Verbot lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Mit einer ähnlichen Manipulations-These könnte man das Tragen von Kopftüchern überhaupt verbieten, wenn Kinder in der Nähe wären. Dass das absurd ist, leuchtet ein. Die Freiheitssphäre des Einzelnen wiegt gerade in einer liberalen Gesellschaft wie der unseren schwerer als der Schutz vor einer möglichen, schwachen Beeinflussung.
Zu dem Vorwurf, dass das Kopftuch ein sexistisches Symbol sei oder dass es für eine intolerante Religion wirbt, die nicht auf dem Boden der Verfassung steht, muss man sagen dass Religionen keine monolithischen Gebilde sind, auch wenn die meisten Religiösen und auch die meisten Nicht-Religiösen das vielleicht gerne so hätten, weil sie dann besser argumentieren könnten. Die Deutung von Koran, Sunna, von Bibel und Thora, von Kopftuch und Kreuz sind in so hohem Maße umkämpft, dass keine hinreichende Eindeutigkeit hervorgeht. Es gibt Menschen, die aus dem Koran die Scharia ableiten, es gibt aber auch Muslima, die zugleich Feministinnen sind und in dem Islam eine Religion der Barmherzigkeit sehen. Ich habe den Koran gelesen und war stellenweise erschrocken, aber ich habe auch die Thora und das neue Testament gelesen und musste auch dort bei einigen Stellen gegen ein flaues Gefühl im Magen ankämpfen. Ich bin jedoch nicht so anmaßend, dass ich sage, dass meine Deutungen die richtigen sind. Es gibt in den heiligen Schriften der großen Religionen auch sehr viele schöne Passagen und die genauen religiösen Ausdeutungen reichen von intoleranten, rassistischen und homophoben Deutungen, die leider weit verbreitet sind, bishin zu freundlichen Deutungen, die ethisches Bewusstsein stärken. Es ist jedoch eine wesentliche Säule unserer Gesellschaft, dass wir in solchen Deutungsfragen unterschiedlicher Meinung sein können. Dies reicht von Meinungsfreiheit über Religionsfreiheit. Wenn Voltaire sagt: “Du bist anderer Meinung als ich und ich werde Dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen.”, dann muss man ihm als ein echter Demokrat zustimmen. Meinungsfreiheit hat Grenzen, zum Beispiel in der Erziehung, diese Grenzen jedoch bei einem Kleidungsstück zu sehen, dessen Deutung nicht geklärt ist, ist in einer aufgeklärten und liberalen Gesellschaft albern und das schreibe ich als jemand, der Religionskritik ebenfalls für sehr wichtig hält.
Letztendlich lässt sich aus dem Gesagten ableiten, dass das Kopftuch-Verbot zu verwerfen ist. Das Kopftuch verweist auf sehr unterschiedliche Bedeutungen. Das Tragen eines Kopftuchs ist nicht hinreichend dafür, das Dritte in relevanter Weise geschädigt werden und berührt so nur die Freiheitssphäre der Trägerin des Kopftuchs, die dieser in einer liberalen Gesellschaft spätestens qua Volljährigkeit gänzlich selbst überlassen ist.
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